A. Haslund Hansen u.a. (Hrsg.): Dansk ekspeditionshistorie

Cover
Titel
Dansk ekspeditionshistorie.


Herausgeber
Haslund Hansen, Anne; Harbsmeier, Michael; Sune Pedersen, Christian; Kurt-Nielsen, Jesper; Toft, Peter Andreas; Hvidtfelt Nielsen, Kristian
Erschienen
Copenhagen 2021: GADs Forlag
Anzahl Seiten
1.350 S.
Preis
DKK 799,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Imke Hamann-Bock, Historisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Der Begriff Expedition wird landläufig mit der Erforschung des Unbekannten, mit Abenteuer und möglicherweise auch Gefahr verbunden. Forschungsreisen in unbekannte Regionen haben die Menschen weltweit seit Jahrhunderten unternommen und dabei die Zuhausegebliebenen mit Reisebeschreibungen und Forschungsergebnissen fasziniert und begeistert.

In dem dreibändigen, dänischsprachigen Werk „Dansk Ekspeditionshistorie“, herausgegeben von Anne Haslund Hansen, Michael Harbsmeier, Christian Sune Pedersen, Jesper Kurt-Nielsen, Peter Andreas Toft und Kristian Hvidtfelt Nielsen, wird erstmals ein Blick auf 400 Jahre dänische Expeditionsgeschichte (von circa 1600 bis zur Gegenwart) geworfen. Dabei geht es nicht nur um Expeditionen, die vom dänischen Staat oder anderen öffentlichen Institutionen organisiert beziehungsweise finanziert wurden, sondern auch um Unternehmungen, bei denen mindestens einer der Teilnehmerinnen oder Teilnehmer aus der dänischen Monarchie stammte.

Die Herausgeber und Herausgeberinnen stellen eine kluge Auswahl in den großen geschichtlichen Zusammenhang, die keineswegs Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Wie im Vorwort erläutert, sei es vielmehr das Ziel, die Verflechtungen von Wissenschaft, Technologie, Natur, Kultur, Ökonomie und Geopolitik aufzuzeigen.

Die hohe Zahl von insgesamt 25 Autorinnen und Autoren lässt es nicht zu, alle einzeln aufzulisten. So kann an dieser Stelle nur ein Blick auf ein paar Eckpunkte des Werkes geworfen werden. In den drei Bänden werden viele unterschiedliche Themen aufgegriffen. Der erste und der zweite beinhalten jeweils zwölf, Band 3 hat sogar vierzehn Kapitel. Die Bände sind mit wenigen Ausnahmen chronologisch aufgebaut und in drei unterschiedlich lange Phasen, die im Folgenden vorgestellt werden, eingeteilt.

Die Herausgebenden haben sowohl geografisch als auch zeitlich die Themen weit gestreut. Eingeläutet mit den ersten von Christian IV. (1577–1648) zu Beginn des 17. Jahrhunderts ausgesandten Expeditionen bis hin zum ersten Dänen im Weltraum, Andreas Mogensen (1976–), umfasst das Werk ab dem Jahr 1600 eine Reihe bekannter, aber auch bisher unbekannter Vorhaben und beleuchtet sie im großen Zusammenhang der (häufig immer noch sehr eurozentrisch geprägten) Weltgeschichte. So hatte der dänische König Christian IV. mehrere Expeditionen auf der Suche nach neuen Handelsrouten, unbekannten Territorien und Ressourcen ausgesandt. Ziele waren noch unerforschte Gebiete wie Grönland, die britischen und französischen Kolonien in Nordamerika, sowie der Seeweg durch die vermutete Nordwestpassage. Weitere Kapitel betrachten zum Beispiel die drei großen und auch außerhalb Dänemarks bekannten Galathea-Weltumsegelungen von 1845 bis 1847, 1950 bis 1952 sowie 2006 bis 2007, die zweifellos die prestigereichsten Forschungsreisen darstellen, die von dänischer Seite aus je unternommen beziehungsweise von Institutionen in Dänemark initiiert wurden. Alle drei Galathea-Unternehmen haben in der dänischen Gesellschaft einen bleibenden Eindruck hinterlassen und wurden ihrer Zeit entsprechend in der Heimat rezipiert.

Aber auch private Reisen von Einzelpersonen wie der Malerin Emilie Demant Hatt (1873–1958), die mehrere Monate im hohen Norden von Schweden unter den Sami lebte, werden gleichberechtigt vorgestellt. Mit dem Buch über ihren Aufenthalt dort trug sie viel zur Aufklärung über die Lebensweise der Sami bei. Hinzu kommt, dass sie auf dem Gebiet der ethnografischen Feldarbeit, welche zu dem Zeitpunkt noch lange nicht gang und gäbe war, Pionierarbeit leistete.1

Geografisch werden alle sieben Kontinente erfasst, wobei einige Gegenden, wie zum Beispiel Zentralasien, vor allem aber die ehemalige dänische Kolonie Grönland mit gleich mehreren Expeditionen vertreten sind. Führend bei deren Erforschung war der grönlandisch-dänische Polarforscher Knud Rasmussen (1879–1933), der zwischen 1912 und 1932 an insgesamt sieben Forschungsreisen nach Grönland beteiligt war.

Ein weiterer bekannter Name, dessen Teilnahme erwähnt wird, ist Vitus Bering (1681–1741), der im Dienst des russischen Zaren nach der Landbrücke zwischen Asien und dem nordamerikanischen Kontinent suchte und nach dem die Beringsee benannt wurde. Ebenfalls kein Unbekannter ist der Sprachforscher Rasmus Rask (1787–1832), der nach seiner bahnbrechenden Forschung zur indogermanischen Sprachtheorie in den Jahren von 1816 bis 1823 in Indien linguistische Feldarbeit leistete. In der Gegenwart war sogar niemand Geringeres als der dänische Kronprinz Frederik (1968–) Teilnehmer an der letzten Galathea-Expedition.

Ging es zu Beginn vor allem um das Entdecken unbekannter Regionen, wurden die Motive und Fragestellungen im Laufe der Zeit immer spezifischer. Die Forscherinnen und Forscher arbeiteten mit stetig fortschrittlicheren Methoden und kamen zeitweilig auch zu anderen Ergebnissen als ihre Vorgänger. So ist der Blick auf über 400 Jahre Expeditionsgeschichte auch ein Blick auf die Ergebnisse und Erkenntnisse, die jede einzelne Expedition mit nach Hause brachte. Nicht jede hatte den gewünschten Erfolg, einige Expeditionen sind sogar auf den ersten Blick fehlgeschlagen. So musste zum Beispiel der Zeichner Frederik Ludvig Norden (1708–1742), der Mitte des 18. Jahrhunderts mit seiner Expeditionsgruppe den Nil flussaufwärts erkunden wollte, umdrehen und konnte das anvisierte Ziel nicht erreichen. Das große Interesse an den posthum und auf Französisch erschienenen Reisebeschreibungen Nordens „Voyage d’Egypte et de Nubie“ in der dänischen Heimat lässt diese Forschungsreise jedoch als erfolgreicher erscheinen als andere, unbekanntere Unternehmungen.

Die sogenannte „Arabische Reise“ von Carsten Niebuhr (1733–1815) ist von so zentraler Bedeutung für die dänische Erinnerungskultur, und könnte doch zunächst ebenfalls als Misserfolg betrachtet werden. Niebuhr – ein deutscher Mathematiker und Kartograf – war der einzige Expeditionsteilnehmer, der von der wissenschaftlich geplanten und staatlich finanzierten Reise wieder zurückkehrte. Keiner würde die Fahrt jedoch heute als Fehlschlag bewerten. Schon allein die Forschungsergebnisse und die vor Ort entstandene Kartografie waren zu ihrer Zeit eine Sensation. Nicht von ungefähr muss sich seither jede Expedition mit dänischer Teilnahme an dieser Reise messen lassen.

Im Detail gliedern sich die Bände wie folgt: Im ersten Band „I kongens og oplysnings tjeneste 1600-1850“ (Im Dienste des Königs und der Aufklärung) schauen die Autorinnen und Autoren auf die 250 Jahre zwischen 1600 und 1850 und decken damit einen relativ langen Zeitraum der dänischen Expeditionsgeschichte ab. Diese begann mit den bereits erwähnten ersten von Christian IV. ausgesandten Erkundungsfahrten. Die Gründung der ostindischen Kompanie erfolgte zeitgleich, und somit auch die erste Reise nach Ostindien, wo in Tranquebar sogar eine kleine Handelskolonie gegründet wurde.2 Es wird dargestellt, wie sich die Gründe für die Reisen langsam von rein wirtschaftlichen zu immer deutlicher wissenschaftlichen Interessen änderten. Was durchgehend von Seiten des dänischen Staates von Interesse war, ist dessen Prestigesteigerung durch einige der staatlich geförderten Forschungsreisen. Die Weltumsegelung der Galathea ist hierfür ein ausgezeichnetes Beispiel.

Weitere Kapitel untersuchen unter anderem die Vermessung und Kartografie Islands, die Erforschung der Venuspassage (das seltene Vorbeiziehen der Venus vor die Sonne) und eine botanische Expedition in Mexiko während des dort herrschenden Bürgerkriegs in den Jahren 1840 bis 1843. Somit geht es in dieser ersten von den Herausgebenden so eingeteilten drei Phasen der dänischen Expeditonsgeschichte um das Erkunden unbekannter Länder und Gegenden.

Der zweite Band „For fremskridet og nationen in imperialismens tidsalder 1850-1945“ (Für Fortschritt und Nation im Zeitalter des Imperialismus) handelt von den knapp 100 Jahren zwischen der Mitte des 19. Jahrhunderts und dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Es geht hier um die Expeditionen im Zeitalter des Nationalismus und Imperialismus, der Blüte der dänischen Expeditionszeit. In dieser Phase entfaltete sich zudem das dänische Museumswesen, in dessen Zuge sich museale Sammlungen auch durch die von den Expeditionen im großen Stil mitgebrachten Gegenstände indigenen Bevölkerungen erweiterten, was sich wiederum in den Expeditionszielen weiterer Unternehmungen niederschlug.

Zunächst wird bis in die 1880er-Jahre von einem eher ruhigen Abschnitt berichtet. Im Zusammenhang mit der Berliner Konferenz 1884 bis 1887 erlebte die dänische Expeditionsgeschichte darauffolgend ihr sogenanntes „Goldenes Zeitalter“ im Gesamtkontext des europäischen Imperialismus. Erfreulicherweise wird in einigen Kapiteln nicht nur auf die Sammlung von ethnologisch relevanten Gegenständen eingegangen, sondern es erfolgt auch der Hinweis auf die teilweise Repatriierung von Sammlungsobjekten in jüngerer Zeit und die heute stattfindende Zusammenarbeit dänischer Museen mit Institutionen der damals erforschten oder kolonisierten Länder und Völker.

Gerade der vom zweiten Band abgedeckte Zeitraum zeichnet sich durch die rasante Entwicklung des Technologiefortschritts aus. Die Reisen fanden nun via Dampfschiff und Eisenbahn statt und auch das Auto spielte beim Transport schon eine Rolle. Zudem konnten anhand der neuen Methoden zur Dokumentation die Expeditionen nachverfolgt werden: Neben Zeichnungen hielten nun auch vermehrt Fotografien die Erlebnisse der Forschungsreisenden bildlich fest. Erkenntnisse und Informationen über die Reisenden wurden via Telegrafenkabel zeitnah in die Heimat übermittelt.

Während des Zweiten Weltkrieges und der deutschen Besatzungsherrschaft in Dänemark hatte die Expeditionstätigkeit im dänischen Kontext eine Zwangspause eingehalten. Doch bereits kurz nach 1945 strebten einige der Pioniere, die auch schon in den 1930er-Jahren Expeditionen durchgeführt hatten, wieder in die Ferne. Der dritte Band „Kold krig, afkolonisering og nye horisonter 1945-2020“ (Kalter Krieg, Dekolonisierung und neue Horizonte, 1945-2020) handelt entsprechend von jener Phase der Neuorientierung. Der Kalte Krieg und die Unabhängigkeit ehemaliger Koloniegebiete sorgten für veränderte Umstände, da nun einige Gebiete nur mühsam oder kaum mehr zu bereisen, andere wiederum jetzt erstmals zugänglich waren.

Kapitelübergreifend wird in diesem Band ein Blick auf die neuen Technologien und Transportmittel der unterschiedlichen Expeditionen geworfen. Nach dem Ende des imperialistischen Zeitalters lag der Fokus wiederum auf der internationalen Zusammenarbeit, wie es bereits aus der ersten Phase der dänischen Expeditionsgeschichte bekannt war. Die globalen Expeditionsziele wurden nun immer spezieller und detaillierter. An die Stelle der Entdeckung unbekannter Gebiete oder die Kartografierung noch unentdeckter Küstenlinien traten nun natur- und geowissenschaftliche Fragestellungen; so führte beispielsweise die Erforschung einer bestimmten Milbenart durch die Dänin Marie Hammer (1907–2002) zur Bestätigung der Kontinentaldrifttheorie von Alfred Wegener (1888–1930).

Jeder der drei etwa 450-seitigen Bände beinhaltet eine eigene Einleitung für seinen behandelten Zeitabschnitt, in welcher schon im Voraus die jeweiligen Besonderheiten hervorgehoben und kontextualisiert werden. Das großformatige Werk ist optisch hochwertig gestaltet, inklusive der drei aufeinander abgestimmten farbigen Buchrücken aus Leinen. Karten, Malereien und Zeichnungen der vorgestellten Forschungsreisen kann der Leser dank des hochwertigen Bildmaterials in allen Bänden mit eigenen Augen bewundern. Mit der Weiterentwicklung der Technologie sind es vermehrt Fotos, die die Forscher von ihren Unternehmungen mitgebracht haben. Ebenfalls zahlreich und hochqualitativ abgebildet sind eine Reihe von Sammlungsgegenständen, die in unterschiedlichen dänischen Museen ausgestellt oder in deren Magazinen gelagert werden.

Der Text ist leserfreundlich zweispaltig gedruckt. Die einzelnen Kapitel beginnen alle mit einer einheitlich aufgebauten Einleitung, die den wissenschaftlichen Zweck (videnskabeligt formål), das geografische Ziel (geografisk mål) und den oder die leitenden Teilnehmer (ledende deltagere) angibt. Darauf folgt eine kurze Zusammenfassung des Kapitelinhalts. Diese Einheitlichkeit hebt dieses Werk von anderen Sammelbänden beziehungsweise Handbüchern ab und wertet es auf. Aufgrund der leserfreundlichen Aufmachung richtet sich das Werk nicht nur an Historikerinnen und Historiker, sondern an alle historisch interessierten Leserinnen und Leser. Dank der Endnoten und der jeweils am Ende eines Bandes befindlichen Literaturverzeichnisse sowie der Orts- und Personenregister sind die Kapitel auch wissenschaftlich nutzbar.

Leider fehlt dem Werk, wie sonst häufig bei dänischen Geschichtsbüchern zu finden, eine englischsprachige Zusammenfassung. Dadurch wäre zumindest der Inhalt der drei Bände auch außerhalb Dänemarks zugänglich – sind doch viele der hier vorgestellten Expeditionen nicht nur von Interesse für dänischsprachige Leser und Leserinnen, insbesondere im Hinblick auf die erforschten Gebiete und Gegenden. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Blick auf die Gruppe der Expeditionsteilnehmenden: Wenn auch bereits in Band 1 nicht nur von männlichen Teilnehmern berichtet wird, so sind diese doch klar dominierend. Erst im durch den dritten Band abgedeckten Zeitraum lässt sich wahrnehmen, dass der Anteil forschender Frauen zunimmt. In diesem Band geht der Autor eines Kapitels zum ersten Mal auch gezielt auf das Thema Frauen in der Forschung im Allgemeinen und in der Geschichte der Forschungsreisen im Besonderen ein. Auf diesen Aspekt hätte vielleicht noch größerer Fokus gelegt werden können.

In einem so umfangreichen Werk, das von so vielen unterschiedlichen Autoren und Autorinnen verfasst wurde, lassen sich Dopplungen von Themen, Personen, ja sogar ganzen Expeditionen nicht vermeiden; andererseits fehlen wiederum andere Unternehmen, die zu einer vollständigen Darstellung des Themas beigetragen hätten. Nicht immer ist eine erkenntnisgeleitete Struktur der Bände klar zu erkennen, was auch zu erwarten war. Wie im Vorwort zum ersten Band erwähnt, war es das Ziel dieses Werkes, dass Forschungsreisen mit dänischer Teilnahme Aufnahme in den expeditionsgeschichtlichen Kanon erfahren sollten und eine strukturierte Abhandlung des Thema weder geplant noch möglich war.

Abgesehen von diesen Einwänden liegt den Leserinnen und Lesern mit diesen drei hochwertigen Bänden eine dänische Expeditionsgeschichte vor, die allen, die sich für dieses Thema interessieren, ausdrücklich empfohlen werden kann. Das betrifft nicht nur das Fachpublikum. Den Herausgeberinnen und Herausgebern ist ein inhaltlich abwechslungreiches und informatives Werk gelungen.

Anmerkungen:
1 Siehe hierzu auch die Studie von Barbara Sjoholm, From Lapland to Sápmi. Collecting and Returning Sámi Craft and Culture, Minneapolis 2023, sowie die Rezension von Solveig Marie Wang, in: H-Soz-Kult, 02.11.2023, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-137397 (01.12.2023).
2 Vgl. das im selben Verlag herausgegebene und von Miriam Schneider besprochene fünfbändige Werk Danmark og kolonierne [Dänemark und die Kolonien], Kopenhagen 2017, in: H-Soz-Kult, 03.05.2018, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-26098 (01.12.2023).